Proseminar SoSe 2001: Ethischer Relativismus
Handout 12: Zu Cook, Kap. 13-14 (S.
111-24) Westermarcks Argument für den metaethischen Relativismus: (113-15) 1. Wenn der Absolutismus wahr wäre, wären sich
alle gebildeten Menschen über die Moralprinzipien einig. 2. Es gibt moralische Meinungsverschiedenheiten
zwischen gebildeten und Menschen, die nicht auflösbar sind, auch wenn alle
relevanten Tatsachen bekannt sind. (Diese Prämisse entspricht dem deskriptiven Relativismus; vgl. Handout 2.) 3. Bei solchen Meinungsverschiedenheiten liegt
ein Konflikt zwischen Moralprinzipien vor, die so grundlegend sind, daß nichts
über sie gesagt werden kann, das andere von ihrer Wahrheit überzeugen könnte. 4. => Es ist nicht der Fall, daß sich alle gebildeten und
Menschen über die Moralprinzipien einig sind. 5. => Der Absolutismus ist falsch. Möglicher absolutistischer Einwand: Die Meinungsverschiedenheiten bestehen nicht, weil die Menschen
unterschiedliche Moralprinzipien vertreten, sondern weil einige von ihnen kein
ausreichend entwickeltes Moralbewußtsein besitzen. (114) (Diesem Einwand zufolge ist Prämisse 3 falsch. Wenn Prämisse 3 falsch
ist, kann man auch nicht weiter auf 4 und 5 schließen.) Westermarcks Erwiderung auf diesen Einwand: (114f.) Mit dem Ausdruck "ausreichend entwickeltes Moralbewußtsein" kann
zweierlei gemeint sein, aber in keiner der beiden Bedeutungen kann man mit dem
absolutistischen Einwand den Relativismus widerlegen oder den Absolutismus
verteidigen: 1. Unter einem ausreichend entwickelten
Moralbewußtsein verstehen wir die Übereinstimmung mit unseren eigenen
moralischen Überzeugungen. Nur diejenigen Menschen, die unsere moralischen
Überzeugungen teilen, haben ein ausreichend entwickeltes Moralbewußtsein. Mit dieser Bedeutung besagt der
absolutistische Einwand: Die moralischen Meinungsverschiedenheiten bestehen,
weil die Menschen anderer Kulturen nicht die gleichen moralischen
Überzeugungen haben wie wir. Dieser Satz ist natürlich völlig trivial und kein
Einwand gegen den Relativismus. 2. Eine Person hat ein ausreichend entwickeltes Moralbewußtsein, wenn die Moralprinzipien, die
sie vertritt, wahr sind. Mit dieser Bedeutung besagt der
absolutistische Einwand: Die moralischen Meinungsverschiedenheiten bestehen,
weil einige Menschen Moralprinzipien vertreten, die nicht wahr sind. In dieser
Form setzt der absolutistische Einwand jedoch das voraus, (was der Relativist
bestreitet und) was erst begründet werden muß, nämlich: Es gibt wahre
Moralprinzipien, die universell gültig sind, und jede Kultur mit anderen
Moralprinzipien vertritt falsche Moralprinzipien. Cook hält
Westermarcks Erwiderung gegen den absolutistischen Einwand für schlagend, wenn
er mit diesen beiden Bedeutungen von "ausreichend
entwickeltes Moralbewußtsein" formuliert wird. Westermarcks Erwiderung läuft
jedoch darauf hinaus, daß die genannten Bedeutungen die einzigen Bedeutungen
von "ausreichend entwickeltes Moralbewußtsein" sind und daß es deshalb keinen
Sinn macht, davon zu sprechen, daß einige Menschen ein höheres oder besser entwickeltes
Moralbewußtsein haben als andere. Was das Moralbewußtsein betrifft, sind alle
Menschen gleich. Dies hält Cook für falsch. Denn neben den genannten zwei
Bedeutungen kann man ein ausreichend entwickeltes Moralbewußtsein noch anders
verstehen. (115f.) Ob man ein ausreichend entwickeltes Moralbewußtsein hat oder nicht, zeigt
sich in der Art, wie man bestimmte Situationen wahrnimmt und wie man über
moralische Fragen nachdenkt. Man hat kein ausreichend entwickeltes
Moralbewußtsein, wenn man nicht ernsthaft, ehrlich, sorgfältig, geduldig und
selbstkritisch nachdenkt, sondern sich moralisch relevanten Tatsachen
verschließt durch bewußtes Ignorieren von Tatsachen, Selbsttäuschung,
Romantisierung, naive Leichtgläubigkeit, Vorurteile und mangelnde Empathie.
Da Menschen sich in dieser Hinsicht voneinander unterscheiden, ist
Westermarcks Behauptung, daß es hinsichtlich des Moralbewußtseins keine
Unterschiede zwischen den Menschen gibt, falsch. (116-18) Die Ursache moralischer Meinungsverschiedenheiten muß also nicht darin
liegen, daß Menschen verschiedene Moralprinzipien akzeptieren, sondern kann
auch mit einem unterschiedlich entwickelten Moralbewußtsein (in dem eben
explizierten Sinn) erklärt werden. (118) Als Beleg dafür, daß es zwischen Kulturen moralische
Meinungsverschiedenheiten gibt, die auf unterschiedliche fundamentale
Moralprinzipien zurückzuführen sind, wird häufig die Sexualmoral herangezogen.
Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, daß die beste Erklärung der unterschiedlichen
Sexualmoral nicht unterschiedliche Moralprinzipien sind, sondern ein unterschiedliches
Moralbewußtsein und der Einfluß von Tabus und religiösen Vorstellungen.
(119-24) Ergebnis: Es konnten keine Beispiele für moralische Meinungsunterschiede gefunden
werden, die nicht auflösbar sind, weil ein Konflikt zwischen grundlegenden
Moralprinzipien vorliegt. D. h., es konnten keine Belege für den
deskriptiven Relativismus gefunden werden. Da es (entgegen Westermarcks Auffassung) möglich ist, zwischen einem
mangelhaften und einem ausreichend entwickelten Moralbewußtsein zu
unterscheiden, konnten die vermeintlichen Beispiele für das Vorliegen
unterschiedlicher Moralprinzipien besser durch das mangelhafte Moralbewußtsein
einiger Menschen erklärt werden. |