Proseminar SoSe 2001: Ethischer Relativismus

Handout 8:

Zu Cook, Kap. 3 (S. 24-31)

Relativismus, Ethnozentrismus und (In-)Toleranz

 

Das Hauptziel der (aus der Ethnologie kommenden) Relativistinnen und Relativisten ist es, den Ethnozentrismus zu bekämpfen. (24)

 

Ethnozentrismus: (S. 8)

1.  Wir glauben, daß wir die für alle Menschen gültigen Moralprinzipien erkannt haben.

2. Genau die gleichen Handlungen, die wir in unserer Kultur moralisch verurteilen, verurteilen wir auch in anderen Kulturen - selbst dann, wenn niemand in den anderen Kulturen diese Handlungen für moralisch falsch hält.

 

Wenn das vollständige Argument für den Relativismus (S. 11, bzw. Handout 5, S. 2-4) richtig ist, ist es ein Fehler, am Ethnozentrismus festzuhalten, denn:

1.  Gemäß Schritt 9 des vollständigen Arguments gibt es kein Wissen universell gültiger Moralprinzipien.

Wenn (wir wissen, daß) es kein solches Wissen gibt, ist es ein Fehler, zu glauben, wir hätten universell gültige Moralprinzipien erkannt. Es ist also ein Fehler, an der Behauptung (1) des Ethnozentrismus festzuhalten.

2.  Aus Schritt 9 und 10 folgt, daß es keine universell gültigen Moralprinzipien gibt.

Wenn es keine universell gültigen Moralprinzipien gibt und somit Moralprinzipien nur innerhalb einer bestimmten Kultur gültig sind, ist es ein Fehler, die Moralprinzipien der eigenen Kultur auf andere Kulturen anzuwenden und Handlungen, die wir in unserer Kultur moralisch verurteilen auch in anderen Kulturen moralisch zu verurteilen. (Es ist ein Fehler, Moralprinzipien auf eine Kultur anzuwenden, in der sie nicht gültig sind.) Es ist also ein Fehler, an der Behauptung (2) des Ethnozentrismus festzuhalten.

 

Wenn das vollständige Argument für den Relativismus richtig, ist der Ethnozentrismus ein Denkfehler, kein moralischer Fehler. Da es nicht rational ist, Denkfehler zu begehen, sollten wir den Ethnozentrismus aufgeben und andere Kulturen nicht nach unseren Moralprinzipien beurteilen.

Obwohl das Aufgeben des Ethnozentrismus nur ein Erfordernis der Rationalität ist, ist es oft als moralische Forderung verstanden worden. Mit dieser Interpretation erhält man den normativen Relativismus oder, wie Cook (S. 25) es nennt, die moralistische Interpretation des Relativismus.

 

Normativer Relativismus (moralistische Interpretation des Relativismus):

Es ist moralisch falsch, genau die gleichen Handlungen, die wir in unserer Kultur moralisch verurteilen, auch in anderen Kulturen (in denen diese Handlungen nicht verurteilt werden) moralisch zu verurteilen.

D. h., es ist moralisch falsch, das Verhalten und die Praktiken von Menschen anderer Kulturen moralisch zu beurteilen.

 

Gegen den normativen Relativismus werden gewöhnlich zwei Einwände vorgebracht:

1.  Er folgt nicht aus dem vollständigen Argument für den Relativismus, da man aus Seinssätzen (Sätzen über empirische Tatsachen) keine Sollenssätze ableiten kann.

2.  Er ist selbstwidersprüchlich, da die Forderung, daß man andere Kulturen nicht moralisch beurteilen soll, ein nicht-relatives, universell gültiges Moralprinzip ist.

 

Diese Einwände sind zwar berechtigt als Kritik am normativen Relativismus, treffen aber nicht den durch das vollständige Argument begründeten Kulturrelativismus, da dieser sich als metaethischer Relativismus versteht, der Aussagen über Moralprinzipien macht (nämlich, daß sie kulturrelativ sind), aber selbst kein Moralprinzip aufstellt. Da er gar kein Moralprinzip aufstellt, kann man ihm natürlich nicht vorwerfen, daß er (1) ein Moralprinzip aus Seinssätzen ableitet und daß er (2) sich selbst widerspricht, weil er ein universell gültiges Moralprinzip vertritt.

 

Beispiel für die moralistische Interpretation des Relativismus:

Wir wollen an dieser Stelle unserer Überlegungen über den Subiektivismus kurz innehalten und einen Blick auf eine eigentümliche Ansicht bzw. Gruppe von Ansichten werfen, die sich im Zusammenhang mit dem Problem moralischer Differenzen zwischen Gesellschaften herausgebildet haben. Ich meine den Relativismus, die typische Häresie der Ethnologen, wohl die absurdeste Anschauung, die innerhalb des an Absurditäten nicht gerade armen Gebiets der Moralphilosophie je vertreten worden ist. In ihrer krudesten und vulgärsten Form (die ich hier betrachten will, weil sie die charakteristischste und einflußreichste Version des Relativismus darstellt) läßt sich diese Anschauung auf drei Thesen bringen: erstens, »richtig« bedeutet (bzw. kann ohne Widerspruch nur bedeuten) »richtig für eine bestimmte Gesellschaft«; zweitens, »richtig für eine bestimmte Gesellschaft« muß funktionalistisch verstanden werden; und drittens ist es (folglich) insofern nicht richtig für die Angehörigen einer Gesellschaft, sich in das Wertverhalten einer anderen Gesellschaft einzumischen, es zu verurteilen usw. Diese Anschauung hat eine lange Geschichte. [...]

Aber was auch immer ihre Folgen gewesen sein mögen, in sich ist diese Anschauung offensichtlich bereits deshalb widersprüchlich, weil sie in ihrer dritten These hinsichtlich des richtigen Verhaltens gegenüber anderen Gesellschaften »richtig« in einem nichtrelativistischen Sinn verwendet, der nach der ersten These nicht zulässig sein kann. So wird z. B. aus der Behauptung, daß Menschenopfer »richtig für die Aschanti« waren, nur allzu leicht die Behauptung, daß Menschenopfer »bei den Aschanti richtig« waren, und daraus wird dann unversehens die Behauptung, daß es »richtig« war, daß die Aschanti Menschenopfer veranstalteten, daß wir also nicht das mindeste Recht hatten, sie daran zu hindern. Aber dies letztere ist nun sicher nicht eine Behauptung, die im Rahmen des Relativismus zulässig sein könnte. Auf dieser Basis könnten wir allenfalls behaupten, daß es »richtig für unsere Gesellschaft« (d. h. von funktionellem Wert für uns) gewesen wäre, sich nicht in diese Angelegenheit der Aschanti-Gesellschaft einzumischen. Das aber ist gewiß nicht alles, was mit der ersten Behauptung gesagt werden sollte, und daneben ist es noch höchst zweifelhaft, ob es wahr ist. (Bernard Williams (1972): Der Begriff der Moral. Eine Einführung in die Ethik, Stuttgart 1978, S. 28f.)

Der zentrale Irrtum des Relativismus besteht in dem Versuch, aus dem Faktum, daß unterschiedliche Gesellschaften unterschiedliche Einstellungen und Werte haben, ein nichtrelativistisches apriorisches Prinzip hervorzuzaubern, das die Einstellung unserer Gesellschaft gegenüber anderen bestimmen soll. Dies ist unmöglich. Wenn wir die These aufstellen, daß es zwischen unterschiedlichen Gesellschaften fundamentale moralische Differenzen gibt, müssen wir zu den Dingen, bei denen es fundamentale Differenzen geben kann, auch die Einstellung gegenüber anderen moralischen Einstellungen zählen. (a. a. O., S. 31)

 

 



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